Evangelische Publizistik:
Evangelische Journalistenschule vor dem Aus?
EJS Berlin
14.02.2020
afa
Artikel:
Download PDF
Drucken
Teilen
Feedback


Die Kirche verliert ihre Freunde und Follower – bis 2060 könnte sich die Zahl ihrer Mitglieder halbiert haben. Mit ihren Mitgliedern verliert die Kirche zugleich an Relevanz: Ob die Kirche in 40 Jahren noch als gesellschaftlich relevante Kraft wahrgenommen wird, dürfen wir gewiss infrage stellen. Statt diesem Relevanz-Verlust entgegen zu wirken, prüft die Kirche die Schließung ihrer wichtigsten Ausbildungsstätte für den Qualitätsjournalismus: Die Evangelische Journalistenschule in Berlin (EJS). „Die Ausschreibung des nächsten Jahrgangs im März ist vorerst gestoppt“, erklärt Jörg Bollmann, Publizistischer Vorstand des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) – das Gemeinschaftswerk in Frankfurt ist Träger der Journalistenschule.
Sollte es wirklich so kommen, ist die Schließung der Journalistenschule eine Entscheidung mit wenig Augenmaß. Das Budget der EJS beläuft sich auf knapp 500.000 € pro Jahr. Mit vergleichsweise niedrigem finanziellen Aufwand leistet die Schule eine wertvolle Arbeit für den Qualitätsjournalismus und sichert damit der Evangelischen Kirche ihre publizistische Relevanz für die Zukunft. Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands Berlin-Brandenburg, Christian Walther, hat eine mögliche Schließung der Schule scharf kritisiert: „Wer an den gesellschaftlichen Auftrag der Kirche glaubt, muss vom Glauben abfallen angesichts der Pläne zur Schließung der Evangelischen Journalistenschule in Berlin." Die Evangelische Journalistenschule ist eine von elf Journalistenschulen, die sich auf eine Charta für Qualitätsjournalismus verständigt haben.
Qualitätsjournalismus in der Krise
Dabei ist der Qualitätsjournalismus heute sowieso in der Krise: Nur noch wenige Verlagshäuser bezahlen die Journalisten fair nach Tarif - Reichweiten und Quote verdrängen wichtige soziale und gesellschaftliche Themen aus dem Angebot der Medien. Das muss selbst der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm zugeben: Nachrichten über den weltweiten Hunger mit mehr als 20.000 Toten täglich spielten im Vergleich zu Klatschmeldungen etwa gar keine Rolle, resümierte Bedford-Strohm noch anlässlich einer Festveranstaltung der evangelischen Kirche zum 500. Reformationsjubiläum vor gut zwei Jahren. Wein predigen und der Publizistik nur das Wasser reichen? Hier wünschten sich viele in der evangelischen Publizistik, dass den Bischofsworten auch Taten folgten.
„Eine funktionierende Demokratie braucht couragierten Journalismus“, schrieb Irmgard Schwaetzer, die als Präses an der Spitze des EKD-Kirchenparlaments steht, den Absolventen des 12. Jahrgangs der Evangelischen Journalistenschule zum Abschied ins Stammbuch. Angesichts zum Beispiel der Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten in Thüringen mit den Stimmen der AfD wenige Tage nach dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hat Schwaetzer völlig recht. Die Wahl in Erfurt hat gezeigt, wie politische Mandatsträger mit unserer Demokratie spielen und wie wichtig deshalb fundierter Qualitätsjournalismus ist. Die Evangelische Journalistenschule steht für selbigen und liefert eine qualitativ hochwertige und ethisch fundierte journalistische Ausbildung. Bei der Verabschiedung der Absolventen der Evangelischen Journalistenschule im November 2018 warb Schwaetzer für eine Berichterstattung, „die zugespitzte Formulierungen um ihre Hintergründe erweitert und Statistiken gegen den Strich bürstet.“
Qualitätsjournalismus eine Herzensangelegenheit?
Selbst Jörg Bollmann, Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP), sagte bei der Feierstunde in der EJS: „Für die evangelische Kirche ist Qualitätsjournalismus eine Herzensangelegenheit, auch weil ihr die evangelische Publizistik als Lebensäußerung der Kirche am Herzen liegt.“ Für diese Herzensangelegenheit hat Bollmann nun kein Geld mehr, er muss in seinem Haus 1,9 Millionen Euro sparen – das könnte auf Kosten der Journalistenausbildung geschehen. Noch bei der Neueröffnung der Evangelische Medienakademie 2019 in Hamburg unterstrich Bollmann die Bedeutung des Qualitätsjournalismus und der Journalistenausbildung: „Qualitätsjournalismus ist eine Antwort auf die Frage nach dem Erhalt des freiheitlich-demokratischen Systems.“ Gut, das lässt sich auch bedeutungsvoll erklären, wenn das Geld für die Hamburger Medienakademie von der Nordkirche und nicht aus dem Haushalt des Gemeinschaftswerks in Frankfurt kommt.
Zugleich schockiert viele Journalisten die Tatsache, dass der Evangelische Pressedienst (EPD), die hauseigene Nachrichtenagentur aus dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, die drohende Schließung der Journalistenschule bis dato (16.02.2020) gar nicht gemeldet hat. Berliner Hauptstadtmedien von Tagesspiegel, Morgenpost, taz und RBB meldeten das mögliche Aus der Schule am Vortag. Damit steht nicht nur die Journalistenausbildung vor dem Aus, sondern die Glaubwürdigkeit der ganzen Evangelischen Publizistik selbst ist gefährdet.
An der menschlichen Freiheit arbeiten
Evangelische Publizistik ist eine grundsätzliche Wesensäußerung der Kirche: Es geht nicht um interessensgeleiteten Journalismus oder gar um einen medialen Missionsbefehl. Denn: „Publizistik ist ein Mittel der Freiheit, ein Mittel zur Freiheit,“ fasst Robert Geisendörfer zusammen: „Durch Information, durch Meinungsäußerung, durch Orientierung, durch Kritik arbeiten wir an der menschlichen Freiheit mit.“ Der bayerische Pfarrer Geisendörfer gilt als Gründervater der Evangelischen Publizistik. Die evangelische Kirche hatte unter den Nationalsozialisten schmerzlich erfahren, was Gleichschaltung der Medien auch für ihre Verkündigungssendungen im Rundfunk bedeutete. Zunächst nahmen die nationalsozialistischen Machthaber nur Einfluss auf die Auswahl der Autoren kirchlicher Sendungen – später im Jahr 1939 wurden die Sendungen der evangelischen Kirche komplett aus den Rundfunkprogrammen gestrichen. Aus dieser Erfahrung begründete sich nach dem Krieg die Evangelische Publizistik. „Kirche hat es nicht mit einem Produkt, sondern mit der Pflege, Entwicklung, Aktualisierung und Erneuerung grundlegender gesellschaftlicher Werte und Normen zu tun,“ so fasst Johanna Haberer, Professorin an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen den Auftrag an die Christliche Publizistik zusammen.
„Kirchliche Publizistik soll etwas öffentlich machen, Fürsprache üben, Barmherzigkeit vermitteln und Stimme leihen für die Sprachlosen“, dieses Zitat von Robert Geisendörfer darf kein Lippenbekenntnis bleiben: Die Evangelische Journalistenschule in Berlin engagiert sich deshalb auf beeindruckende Weise bei „Amal, Berlin!“. Die Internetplattform liefert Nachrichten aus Berlin auf Arabisch und Farsi/Dari. Zehn Journalisten aus Syrien, Afghanistan, Ägypten und Iran arbeiten gemeinsam an den Themen – ein Projekt, das in der Journalistenschule aus der Taufe gehoben wurde. Amal, Berlin! bietet Journalisten hier in Deutschland im Exil lebend eine berufliche Zukunft. Die Journalisten sind als Fest Freie beschäftigt oder sogar fest angestellt. Wie es mit diesem Projekt nach einer möglichen Schließung der Evangelischen Journalistenschule weitergeht, ist noch nicht bekannt.
Ausschreibung für den 14. Jahrgang ausgesetzt
Nach Worten von Jörg Bollmann, Publizistischer Vorstand des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik und Träger der Journalistenschule ist noch nichts beschlossen. Eine Ausschreibung des 14. Jahrgangs sei nur vorerst ausgesetzt. Viele Absolventen der Schule setzen schon jetzt auf breite Unterstützung, um die Journalistenausbildung in Berlin zu erhalten. So hat sich eine Initiative gegründet, die die EJS retten will. Es gehe ihr nicht um religiöse Weltanschauungen, sondern ethische Reflexion und eine demokratische Haltung – heißt es auf der Website der Initiative über die Schule: „Jetzt steht die Finanzierung auf der Kippe. Gemeinsam wollen wir Wege finden, diese Ausbildung zu erhalten,“ so die Alumni und Absolventen der EJS, die sich in der Initiative zusammengeschlossen haben.
Seit Bekanntwerden der drohenden Schließung der Evangelischen Journalistenschule rollt eine Welle der Sympathie durch die sozialen Netzwerke. Absolventen und namhafte Journalisten bekunden ihre Unterstützung für die Schule im Netz. So twittert der Hamburger Journalist und Professor für Praxis des Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg Volker Lilienthal: „Ich hoffe, das ist nicht das letzte Wort von GEP und EKD. Gerade in Zeiten der Desinformation ist eine ethisch fundierte Journalistenausbildung umso wichtiger. Und: einzige Schule von Ruf am Standort Berlin!“
Relevanz von Kirche schwindet
Sollte es wirklich zur Schließung der Evangelischen Journalistenschule kommen, ist dies ein herber Schlag ins Gesicht aller Journalisten, die sich für Qualitätsjournalismus, fundierte und ethische Journalistenausbildung und damit auch für die Evangelische Publizistik einsetzen. Eine Kirche, die sich der Mittel einer freien Publizistik beraubt, macht sich letztlich unglaubwürdig. Bei Pressekonferenzen könnte bald gähnende Leere herrschen, wenn Journalisten den Themen und Anliegen der Kirchenvertreter keine Relevanz mehr beimessen – auch weil sie noch nie mit einer kirchlichen Institution in Kontakt gekommen sind. Denn Relevanz ist die Währung in einer Mediengesellschaft, in der alle um Aufmerksamkeit buhlen und in der es 2060 voraussichtlich nur noch halb so viele Christen gibt wie heute.
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken